Seiteninhalt
Tobias Sington erfuhr von seinem Versicherungsmakler, dass ihm seine Versicherung kündigen wollte – und kündigte ihr, bevor sie es tat.
Nach einem Schadensfall und zum Ablauf der Versicherungslaufzeit dürfen viele Versicherer die Verträge mit ihren Kunden lösen. Tun sie das, sind ihre Kunden oft überrascht. Hier erfahren Sie, welche Regeln rund um die Kündigung einer Police durch den Versicherer gelten.
Die Kündigung trifft den Versicherten meist unerwartet
Zwei Fahrraddiebstähle hintereinander reichten der Alten Leipziger. Der Versicherungsmakler von Tobias Sington und seiner Frau warnte das Paar, dass ihnen ihr Hausratversicherer bald kündigen werde. Stephanie H.* erhielt dagegen vorher keinen Hinweis. Anfang 2018 wollte der Teilkaskoversicherer nach einem aufwendigen Wildschaden eines ihrer beiden Autos nicht weiter versichern. Kurios: Es ging nicht um das beschädigte, sondern das andere Auto. Finanztest-Leserin Susanne R.* verlor ihre Wohngebäudeversicherung nach Jahrzehnten ohne Schaden und dann zwei kleinen Leitungswasserschäden unter 1 000 Euro. Dass ein Versicherer sie loswerden will, trifft Kunden oft völlig unerwartet. Sie fragen sich: Darf er das überhaupt?
In diesen Fällen sind Kündigungen rechtlich möglich
Grundsätzlich dürfen Versicherer private Unfall- und Schadenverträge einseitig kündigen. Dazu gehören unter anderem:
Hausratversicherung
Wohngebäudeversicherung
Haftpflichtversicherung
Rechtsschutzversicherung
Kfz-Versicherung.
Die Unternehmen prüfen regelmäßig, ob sie ein gutes oder schlechtes Geschäft damit machen. Sind Schäden aufgetreten, nehmen sie die Verträge besonders genau unter die Lupe und trennen sich gegebenenfalls von ihnen. Häufig kommt das etwa bei der Wohngebäudeversicherung vor. Haben Kunden alte Häuser versichert und kommt es irgendwann zu einem Leitungswasserschaden, bleibt es eben oft nicht bei dem einen Fall.
Existenzsicherung: Kein einseitiges Kündigungsrecht
Diese Verträge dürfen Versicherer nicht einseitig kündigen:
Kapitallebensversicherung und Risikolebensversicherung
Private Rentenversicherung
Berufsunfähigkeitsversicherung
Private Krankenvollversicherung
Achtung: Versicherer dürfen außerordentlich kündigen, wenn der Versicherte sie bei Vertragsabschluss täuscht, etwa indem er falsche Angaben macht, um einen Vertrag zu erhalten. Das gilt immer und für jede Versicherungssparte.
Versicherer müssen Fristen wahren
Ordentliche Kündigung. Die Versicherer können mit Ablauf der Laufzeit oder nach einem Schadensfall aussteigen. Mit welcher Frist sie ordentlich kündigen dürfen, hängt von der Laufzeit des Vertrags ab. Sie steht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen des Vertrags. Vielfach beträgt sie drei Monate zum Ende des Versicherungsjahres. In der Kfz-Versicherung ist es ein Monat, wobei das Versicherungsjahr meist am 31. Dezember endet.
Außerordentliche Kündigung. Nach einem Schaden bleibt oft weniger Zeit. Versicherer dürfen dann außerordentlich kündigen, und zwar spätestens einen Monat nachdem sie mit dem Kunden abschließend über die Regulierung des Schadens verhandelt haben. Dann sind die Unternehmen nur noch verpflichtet, für den aktuell gemeldeten Schaden zu zahlen. Rechtsschutzversicherungen müssen allerdings zwei Versicherungsfälle innerhalb von zwölf Monaten reguliert haben, bevor sie außerordentlich kündigen dürfen. Das nutzen sie dann aber auch oft aus.
Neuer Vertrag. Der Rauswurf kann ungünstige Folgen haben. Wenn die Kunden eine neue Versicherung beantragen, müssen sie angeben, ob ihnen der Vorversicherer gekündigt hat.
Lieber selbst kündigen
War das der Fall, kann es sein, dass der neue Versicherer den Antrag ablehnt – ohne eine Einzelfallprüfung. Kunden müssen zwar auch Vorschäden angeben, die prüfen Versicherer in der Regel aber gesondert. Deswegen handeln Kunden besser so, wie Tobias Sington: Er entging dem Rausschmiss aus der Hausratversicherung, indem er vorher selbst kündigte. Das erhöht die Chancen, einen neuen Versicherer zu finden. Sington sieht sich gerade nach einem guten Angebot um. Wenn Kunden eine Kündigung aus heiterem Himmel erhalten, sollten sie Kontakt mit ihrem Versicherer aufnehmen und ihn dazu bewegen, selbst kündigen zu dürfen.
Rat der Stiftung Warentest
Abwägen. Versicherer haben das Recht, Schaden- und private Unfallversicherungen nach einem Schadensfall außerordentlich zu kündigen. Wägen Sie deshalb bei Bagatellschäden ab, ob Sie Ihre Versicherung in Anspruch nehmen.
Vertrag ändern. Sprechen Sie mit dem Versicherer, wenn sich anbahnt, dass er kündigen wird. Möglicherweise erreichen Sie, dass er den Vertrag mit veränderten Konditionen fortsetzt, zum Beispiel wenn Sie auf bestimmte Leistungen verzichten. Alternativ können Sie den Vertrag vielleicht behalten, wenn Sie nach einem Schadensfall Auflagen erfüllen, etwa abschließbare Fenster in Ihrem Haus einbauen.
Selbst kündigen. Ist der Versicherer nicht bereit, den Vertrag zu veränderten Bedingungen weiterzuführen, handeln Sie aus, dass er die Kündigung zurücknimmt und Sie selbst kündigen. Das erhöht die Chance, eine gute neue Versicherung zu finden. Beim Antrag müssen Sie nämlich angeben, wenn der bisherige Versicherer den vorherigen Vertrag gekündigt hat.
Eintrag in Datenbank der Versicherer
Bei ungewöhnlich großen oder überdurchschnittlich häufigen Schäden und anderen Auffälligkeiten landet ein Kunde nach einem Rauswurf unter Umständen sogar im Hinweis- und Informationssystem der deutschen Versicherungswirtschaft (His). Das ist eine gemeinsame Warn- und Hinweisdatenbank von Versicherungsunternehmen. In der Kraftfahrtversicherung gibt es zum Beispiel einen Eintrag bei drei oder mehr Versicherungsfällen binnen 24 Kalendermonaten. Bei kleineren Schäden sollten Kunden deswegen abwägen, ob sie die Versicherung wirklich in Anspruch nehmen oder lieber in die eigene Tasche greifen, um keine Kündigung durch den Versicherer zu riskieren.
Vertrag mit veränderten Bedingungen
Bahnt sich eine Kündigung an, lohnt es sich generell für Versicherungsnehmer, auf den Versicherer zuzugehen. Eventuell ist es möglich, den Vertrag unter veränderten Bedingungen weiterlaufen zu lassen, zum Beispiel wenn der Kunde eine Selbstbeteiligung akzeptiert oder auf bisher mitversicherte Leistungen verzichtet – etwa Leitungswasserschäden in der Wohngebäudeversicherung.
Denkbar sind auch Auflagen, die der Versicherungsnehmer nach einem Schadensfall erfüllen muss, zum Beispiel besondere Schutzvorrichtungen nach einem Diebstahl.
Axa wirft tausende Kunden raus
Aber auch ohne Schaden kommt es vor, dass ein Versicherer Änderungen verlangt oder aussteigen will. Der Kölner Versicherer Axa hatte seine rund 17 500 Versicherten mit Verträgen einer „Unfall-Kombirente“ im Jahr 2018 aufgefordert, in eine „Existenzschutzversicherung“, ein Vertrag mit geringeren Leistungen, zu wechseln. Wer dies bis jetzt noch nicht getan hat, erhält nun die Kündigung. Die Verbraucherzentrale Hamburg bemängelt: Vielen Kunden wurde die „Unfall-Kombirente“ als Alternative zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung verkauft. Diese Kunden hätten nicht mit einer Kündigung gerechnet.
Anders als in der Unfallversicherung dürfen Versicherer in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht kündigen. Die bis 2010 verkaufte Unfall-Kombirente bietet eine lebenslange Rente zwischen 500 und 3 000 Euro, wenn ein Kunde durch einen Unfall oder eine bestimmte schwere Krankheit invalide wird. Die als Ersatz angebotene Existenzschutzversicherung ist deutlich teurer und die Rente läuft nicht mehr lebenslang, sondern endet mit dem 67. Lebensjahr.
Dem Versicherer ist das Produkt zu teuer geworden
Die Axa hat ihren Schritt mit den unerwartet hohen Gesundheitskosten und anhaltend niedrigen Zinsen begründet. Dem Versicherer ist das Produkt zu teuer geworden, die Versicherten tragen jetzt die Konsequenzen. Besonders ärgerlich ist das für diejenigen, die mit der Police ihre wirtschaftliche Existenz absichern wollten.
Rechtsfrage noch nicht geklärt
Die Verbraucherzentrale Hamburg rät Kunden, Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen, sich an den Versicherungsombudsmann zu wenden oder zu klagen. Verbraucher hätten berichtet, dass das Produkt damals als „Quasi-Berufsunfähigkeitsschutz“ angeboten worden sei, sagte Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale: „Unseres Erachtens fällt die Versicherung jedenfalls nicht in die Sparte Unfallversicherung.“
Verbraucherzentrale: Vertrag nicht ordentlich kündbar
Die Verbraucherschützer sehen die Axa-Versicherung in einer anderen Kategorie. „Wir sind der Ansicht, dass die eingeschlossenen Schwere-Krankheiten- und Grundfähigkeitsversicherungen aufgrund der Nähe zur Berufsunfähigkeitsabsicherung beziehungsweise Lebensversicherung nicht ordentlich kündbar sind“, erläutert Becker-Eiselen. Denn in solchen Fällen dürfen Gesellschaften nicht einseitig ordentlich kündigen. Juristisch geklärt ist die Frage noch nicht. Die Axa hält das in ihren Bedingungen festgelegte Kündigungsrecht für rechtens. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat sich inzwischen entschieden, rechtlich gegen die Kündigungsklausel des Versicherers vorzugehen.
Wer als Axa-Kunde noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen kann, sollte sich rasch danach umschauen.
* Name der Redaktion bekannt
Bildrechte: © Lox Foto